读写能力 [du2 xie3 neng2 li4] Fähigkeit zu lesen und zu schreiben
71 Daumerlings Wanderschaft
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Ein Schneider hatte einen Sohn, der war klein gerathen und nichtgrößer als ein Daumen, darum hieß er auch derDaumerling. Er hatte aber Courage im Leibe und sagte zu seinem Vater»...
Ein Schneider hatte einen Sohn, der war klein gerathen und nichtgrößer als ein Daumen, darum hieß er auch derDaumerling. Er hatte aber Courage im Leibe und sagte zu seinem Vater»Vater, ich soll und muß in die Welthinaus«. »Recht, mein Sohn«, sprach der Alte, nahm eineStopfnadel und machte am Licht einen Knoten von Siegellack daran,»da hast du auch einen Degen mit auf den Weg.« Nun wolltedas Schneiderlein noch einmal mit essen und hüpfte in dieKüche, um zu sehen, was die Frau Mutter zu guter Letzt gekochthätte. Es war aber eben angerichtet, und die Schüssel standauf dem Herd. Da sprach es »Frau Mutter, was giebts heute zuessen?« »Sieh du selbst zu«, sagte die Mutter. Dasprang Daumerling auf den Herd und guckte in die Schüssel: weiler aber den Hals zu weit hineinsteckte, faßte ihn der Dampf vonder Speise und trieb ihn zum Schornstein hinaus. Eine Weile ritt erauf dem Dampf in der Luft herum, bis er endlich wieder auf die Erdeherabsank. Nun war das Schneiderlein draußen in der weiten Welt,zog umher, gieng auch bei einem Meister in die Arbeit, aber das Essenwar ihm nicht gut genug. »Frau Meisterin, wenn sie uns keinbesser Essen gibt«, sagte der Daumerling, »so gehe ich fortund schreibe morgen früh mit Kreide an ihre Hausthüre:Kartoffel zu viel, Fleisch zu wenig, Adies, HerrKartoffelkönig.« »Was willst du wohl,Grashüpfer?« sagte die Meisterin, ward bös, ergriffeinen Lappen und wollte nach ihm schlagen: mein Schneiderlein aberkroch behende unter den Fingerhut, guckte unten hervor und streckteder Frau Meisterin die Zunge heraus. Sie hob den Fingerhut auf undwollte ihn packen, aber der kleine Daumerling hüpfte in dieLappen, und wie die Meisterin die Lappen auseinander warf und ihnsuchte, machte er sich in den Tischritz. »He, he, FrauMeisterin«, rief er und steckte den Kopf in die Höhe, undwenn sie zuschlagen wollte, sprang er in die Schubladehinunter. Endlich aber erwischte sie ihn doch und jagte ihn zum Haushinaus.
Das Schneiderlein wanderte und kam in einen großenWald: da begegnete ihm ein Haufen Räuber, die hatten vor, desKönigs Schatz zu bestehlen. Als sie das Schneiderlein sahen,dachten sie »so ein kleiner Kerl kann durch einSchlüsselloch kriechen und uns als Dietrichdienen«. »Heda«, rief einer, »du Riese Goliath,willst du mit zur Schatzkammer gehen? du kannst dich hineinschleichenund das Geld herauswerfen.« Der Daumerling besann sich, endlichsagte er ja und gieng mit zu der Schatzkammer. Da besah er dieThüre oben und unten, ob kein Ritz darin wäre. Nicht lange,so entdeckte er einen und wollte gleich einsteigen. Die eineSchildwache sprach zur andern »was kriecht da für einegarstige Spinne; ich will sie todt treten«. »Laß dasarme Thier gehen«, sagte die andere, »es hat dir ja nichtsgethan.« Nun kam der Daumerling durch den Ritz glücklich indie Schatzkammer, öffnete das Fenster, unter welchem dieRäuber standen, und warf ihnen einen Thaler nach dem andernhinaus. Als das Schneiderlein in der besten Arbeit war, hörte esden König kommen, der seine Schatzkammer besehen wollte, undverkroch sich eilig. Der König merkte, daß viele harteThaler fehlten, konnte aber nicht begreifen, wer sie sollte gestohlenhaben, da Schlösser und Riegel in gutem Stand waren, und alleswohl verwahrt schien. Da gieng er wieder fort und sprach zu den zweiWachen »habt Acht, es ist einer hinter dem Geld«. Als derDaumerling nun seine Arbeit von neuem anfieng, hörten sie dasGeld drinnen sich regen und klingen klipp, klapp, klipp, klapp. Sieeilten hinein und wollten den Dieb greifen, aber das Schneiderlein,das sie kommen hörte, war noch geschwinder, sprang in eine Eckeund deckte einen Thaler über sich, so daß nichts von ihm zusehen war; dabei neckte es noch die Wachen und rief »hier binich«. Die Wachen liefen dahin, wie sie aber ankamen, war es schonin eine andere Ecke unter einen Thaler gehüpft und rief »he,hier bin ich«. Die Wachen sprangen herbei, Daumerling war aberlängst in einer dritten Ecke und rief »he, hier binich«. Und so hatte es sie zu Narren und trieb sie so lange in derSchatzkammer herum, bis sie müde waren und davon giengen. Nunwarf es die Thaler nach und nach alle hinaus: den letzten schnellte esmit aller Macht, hüpfte dann selber noch behendiglich darauf undflog mit ihm durchs Fenster hinab. Die Räuber machten ihmgroße Lobsprüche, »du bist ein gewaltiger Held«,sagten sie; »willst du unser Hauptmann werden?« Daumerlingbedankte sich aber und sagte, er müßte sich erst in derWelt umsehen. Sie theilten nun die Beute, das Schneiderlein aberverlangte nur einen Kreuzer, weil es nicht mehr tragen konnte. Darauf schnallte es seinen Degen wieder um den Leib, sagte denRäubern guten Tag und nahm den Weg zwischen die Beine. Esversuchte zwar bei etlichen Meistern wieder die Schneiderarbeit, abersie wollte ihm nicht schmecken, und endlich verdingte es sich alsHausknecht in einem Gasthof. Die Mägde konnten es nicht leiden,denn ohne gesehen zu werden, sah er alles, was sie heimlich thaten,und gab bei der Herrschaft an, was sie sich von den Tellern genommenund aus dem Keller für sich weg geholt hatten. Da sprachen sie»wart, wir wollen dirs eintränken«, und verabredetenunter einander ihm einen Schabernack anzuthun. Als die eine Magd baldhernach im Garten mähte und den Daumerling da herumspringen undan den Kräutern auf und ab kriechen sah, mähte sie ihn mitdem Gras schnell zusammen, band alles in ein großes Tuch undwarf es heimlich den Kühen vor. Nun war eine große schwarzedarunter, die schluckte ihn mit hinab, ohne ihm weh zu thun. Untengefiels ihm aber schlecht, denn es war ganz finster und brannte dakein Licht. Als die Kuh gemelkt wurde, da rief er
»strip,strap, stroll, ist der Eimer bald voll?«
Doch beidem Geräusch des Melkens wurde er nicht verstanden. Hernach tratder Hausherr in den Stall und sprach »morgen soll die Kuh dageschlachtet werden«. Da ward dem Daumerling angst, daß ermit heller Stimme rief »laßt mich erst heraus, ich sitze jadrin«. Der Herr hörte das wohl, wußte aber nicht, wodie Stimme herkam. »Wo bist du?« rief er. »In derschwarzen«, antwortete er, aber der Herr verstand nicht, was dasheißen sollte, und gieng fort.
Am andern Morgen wurde dieKuh geschlachtet; glücklicherweise traf bei dem Zerhacken undZerlegen den Daumerling kein Hieb, aber er gerieth unter dasWurstfleisch. Wie nun der Metzger herbeitrat und seine Arbeit anfieng,schrie er aus Leibeskräften »hackt nicht zu tief, hacktnicht zu tief, ich stecke ja drunter«. Vor dem Lärmen derHackmesser hörte das kein Mensch. Nun hatte der arme Daumerlingseine Noth, aber die Noth macht Beine, und da sprang er so behendzwischen den Hackmessern durch, daß ihn keins anrührte, under mit heiler Haut davon kam. Aber entspringen konnte er auch nicht:es war keine andere Auskunft, er mußte sich mit den Speckbrocken in eine Blutwurst hinunter stopfen lassen. Da war das Quartieretwas enge, und dazu ward er noch in den Schornstein zum Räuchernaufgehängt, wo ihm Zeit und Weile gewaltig lang wurde. Endlichim Winter wurde er herunter geholt, weil die Wurst einem Gaste solltevorgesetzt werden. Als nun die Frau Wirthin die Wurst in Scheibenschnitt, nahm er sich in acht, daß er den Kopf nicht zu weitvorstreckte, damit ihm nicht etwa der Hals mit abgeschnittenwürde, endlich ersah er seinen Vortheil, machte sich Luft undsprang heraus.
In dem Hause aber, wo es ihm so übel ergangenwar, wollte das Schneiderlein nicht länger mehr bleiben, sondernbegab sich gleich wieder auf die Wanderung. Doch seine Freiheitdauerte nicht lange: auf dem offenen Feld kam es einem Fuchs in denWeg, der schnappte es in Gedanken auf. »Ei, Herr Fuchs«,riefs Schneiderlein, »ich bins ja, der in eurem Hals steckt,laßt mich wieder frei.« »Du hast recht«,antwortete der Fuchs, »an dir hab ich doch so viel als nichts;versprichst du mir die Hühner in deines Vaters Hof, so will ichdich loslassen.« »Von Herzen gern«, antwortete derDaumerling, »die Hühner sollst du alle haben, das gelobe ichdir.« Da ließ ihn der Fuchs wieder los und trug ihn selberheim. Als der Vater sein liebes Söhnlein wieder sah, gab er demFuchs gerne alle die Hühner, die er hatte. »Dafür bringich dir auch ein schönes Stück Geld mit«, sprach derDaumerling, und reichte ihm den Kreuzer, den er auf seinerWanderschaft erworben hatte.
»Warum hat aber der Fuchs diearmen Piephuhner zu fressen kriegt?« »Ei, du Narr, deinemVater wird ja wohl ein Kind lieber sein als die Hühner auf demHof.«