成千成万 [cheng2 qian1 cheng2 wan4] Tausende und Abertausende
195 Die zwölf Brüder
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Es war einmal ein König und eine Königin, die lebtenin Frieden miteinander und hatten zwölf Kinder, das warenaber lauter Buben. Nun sprach der König zu seiner Frau: »Wenndas ...
Es war einmal ein König und eine Königin, die lebtenin Frieden miteinander und hatten zwölf Kinder, das warenaber lauter Buben. Nun sprach der König zu seiner Frau: »Wenndas dreizehnte Kind, was du zur Welt bringst, ein Mädchenist, so sollen die zwölf Buben sterben, damit sein Reichtumgroß wird und das Königreich ihm allein zufällt.«Er ließ auch zwölf Särge machen, die waren schonmit Hobelspänen gefüllt, und in jedem lag das Totenkißchen,und ließ sie in eine verschlossene Stube bringen, dann gaber der Königin den Schlüssel und gebot ihr, niemandetwas davon zu sagen. Die Mutter aber saß nun den ganzen Tag und trauerte, sodaß der kleinste Sohn, der immer bei ihr war und den sienach der Bibel Benjamin nannte, zu ihr sprach: »Liebe Mutter,warum bist du so traurig?« »Liebstes Kind«, antwortete sie, »ich darf dir'snicht sagen.« Er ließ ihr aber keine Ruhe, bis sieging und die Stube aufschloß und ihm die zwölf mitHobelspänen gefällten Totenladen zeigte. Darauf sprachsie: »Mein liebster Benjamin, diese Särge hat dein Vaterfür dich und deine elf Brüder machen lassen, denn wennich ein Mädchen zur Welt bringe, so sollt ihr allesamt getötetund darin begraben werden.« Und als sie weinte, währendsie das sprach, so tröstete sie der Sohn und sagte: »Weinenicht, liebe Mutter, wir wollen uns schon helfen und wollen fortgehen.« Sie aber sprach: »Geh mit deinen elf Brüdern hinausin den Wald, und einer setze sich immer auf den höchstenBaum, der zu finden ist, und halte Wacht und schaue nach dem Turmhier im Schloß. Gebär ich ein Söhnlein, so willich eine weiße Fahne auf stecken, und dann dürft ihrwiederkommen; gebär ich ein Töchterlein, so will icheine rote Fahne aufstecken, und dann flieht fort, so schnell ihrkönnt, und der liebe Gott behüte euch. Alle Nacht willich aufstehen und für euch beten, im Winter, daß ihran einem Feuer euch wärmen könnt, im Sommer, daßihr nicht in der Hitze schmachtet.« Nachdem sie also ihre Söhne gesegnet hatte, gingen sie hinausin den Wald. Einer hielt um den andern Wacht, saß auf derhöchsten Eiche und schauete nach dem Turm. Als elf Tage herumwaren und die Reihe an Benjamin kam, da sah er, wie eine Fahneaufgesteckt wurde; es war aber nicht die weiße, sonderndie rote Blutfahne, die verkündigte, daß sie alle sterbensollten. Wie die Brüder das hörten, wurden sie zornigund sprachen: »Sollten wir um eines Mädchens willenden Tod leiden! Wir schwören, daß wir uns rächenwollen; wo wir ein Mädchen finden, soll sein rotes Blut fließen.« Darauf gingen sie tiefer in den Wald hinein, und mitten drein,wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines verwünschtesHäuschen, das leer stand. Da sprachen sie: »Hier wollenwir wohnen, und du, Benjamin, du bist der jüngste und schwächste,du sollst daheim bleiben und haushalten, wir andern wollen ausgehenund Essen holen.« Nun zogen sie in den Wald und schossenHasen, wilde Rehe, Vögel und Täuberchen, und was zuessen stand, das brachten sie dem Benjamin, der mußte esihnen zurechtmachen, damit sie ihren Hunger stillen konnten. Indem Häuschen lebten sie zehn Jahre zusammen, und die Zeitward ihnen nicht lang. Das Töchterchen, das ihre Mutter, die Königin, geborenhatte, war nun herangewachsen, war gut von Herzen und schönvon Angesicht und hatte einen goldenen Stern auf der Stirne. Einmal,als große Wäsche war, sah es darunter zwölf Mannshemdenund fragte seine Mutter: »Wem gehören diese zwölfHemden, für den Vater sind sie doch viel zu klein?«Da antwortete sie mit schwerem Herzen: »Liebes Kind, diegehören deinen zwölf Brüdern.« Sprach dasMädchen: »Wo sind meine zwölf Brüder, ichhabe noch niemals von ihnen gehört.« Sie antwortete:»Das weiß Gott, wo sie sind; sie irren in der Weltherum.« Da nahm sie das Mädchen und schloß ihmdas Zimmer auf und zeigte ihm die zwölf Särge mit denHobelspänen und den Totenkißchen. »Diese Särge«,sprach sie, »waren für deine Brüder bestimmt, abersie sind heimlich fortgegangen, eh du geboren warst«, underzählte ihm, wie sich alles zugetragen hatte. Da sagte dasMädchen: »Liebe Mutter, weine nicht, ich will gehenund meine Brüder suchen.« Nun nahm es die zwölf Hemden und ging fort und geradezu inden großen Wald hinein. Es ging den ganzen Tag, und am Abendkam es zu dem verwünschten Häuschen. Da trat es hineinund fand einen jungen Knaben, der fragte: »Wo kommst du her,und wo willst du hin?«, und erstaunte, daß sie so schönwar, königliche Kleider trug und einen Stern auf der Stirnehatte. Da antwortete sie: »Ich bin eine Königstochterund suche meine zwölf Brüder und will gehen, so weitder Himmel blau ist, bis ich sie finde.« Sie zeigte ihm auchdie zwölf Hemden, die ihnen gehörten. Da sah Benjamin,daß es seine Schwester war, und sprach: »Ich bin Benjamin,dein jüngster Bruder.« Und sie fing an zu weinen vorFreude und Benjamin auch, und sie küßten und herzteneinander vor großer Liebe. Hernach sprach er: »LiebeSchwester, es ist noch ein Vorbehalt da, wir hatten verabredet,daß ein jedes Mädchen, das uns begegnete, sterben sollte,weil wir um ein Mädchen unser Königreich verlassen mußten.«Da sagte sie: »Ich will gerne sterben, wenn ich damit meinezwölf Brüder erlösen kann.« »Nein«, antwortete er, »du sollst nicht sterben,setze dich unter diese Bütte, bis die elf Brüder kommen,dann will ich schon einig mit ihnen werden.« Also tat sie;und wie es Nacht ward, kamen die andern von der Jagd, und dieMahlzeit war bereit. Und als sie am Tische saßen und aßen,fragten sie: »Was gib's Neues?« Sprach Benjamin: »Wißtihr nichts?« »Nein«, antworteten sie. Sprach er weiter: »Ihrseid im Walde gewesen, und ich bin daheim geblieben und weißdoch mehr als ihr.« »So erzähle uns«, riefen sie. Antwortete er: »Versprechtihr mir auch, daß das erste Mädchen, das uns begegnet,nicht soll getötet werden?« »Ja«, riefen sie alle, »das soll Gnade haben, erzähluns nur.« Da sprach er: »Unsere Schwester ist da«,und hub die Bütte auf, und die Königstochter kam hervorin ihren königlichen Kleidern mit dem goldenen Stern aufder Stirne und war so schön, zart und fein. Da freueten siesich alle, fielen ihr um den Hals und küßten sie undhatten sie vom Herzen lieb. Nun blieb sie bei Benjamin zu Haus und half ihm in der Arbeit.Die elfe zogen in den Wald, fingen Gewild, Rehe, Vögel undTäuberchen, damit sie zu essen hatten, und die Schwesterund Benjamin sorgten, daß es zubereitet wurde. Sie suchtedas Holz zum Kochen und die Kräuter zum Gemüs und stelltedie Töpfe ans Feuer, also daß die Mahlzeit immer fertigwar, wenn die elfe kamen. Sie hielt auch sonst Ordnung im Häuschenund deckte die Bettlein hübsch weiß und rein, und dieBrüder waren immer zufrieden und lebten in großer Einigkeitmit ihr. Auf eine Zeit hatten die beiden daheim eine schöne Kost zurechtgemacht,und wie sie nun alle beisammen waren, setzten sie sich, aßenund tranken und waren voller Freude. Es war aber ein kleines Gärtchenan dem verwünschten Häuschen, darin standen zwölfLilienblumen, die man auch Studenten heißt, nun wollte sieihren Brüdern ein Vergnügen machen, brach die zwölfBlumen ab und dachte jedem aufs Essen eine zu schenken. Wie sieaber die Blumen abgebrochen hatte, in demselben Augenblick warendie zwölf Brüder in zwölf Raben verwandelt undflogen über den Wald hin fort, und das Haus mit dem Gartenwar auch verschwunden. Da war nun das arme Mädchen alleinin dem wilden Wald, und wie es sich umsah, so stand eine alteFrau neben ihm, die sprach: »Mein Kind, was hast du angefangen?Warum hast du die zwölf weißen Blumen nicht stehenlassen?Das waren deine Brüder, die sind nun auf immer in Raben verwandelt.«Das Mädchen sprach weinend: »Ist denn kein Mittel, siezu erlösen?« »Nein«, sagte die Alte, »es ist keins auf der ganzenWelt als eins, das ist aber so schwer, daß du sie damitnicht befreien wirst, denn du mußt sieben Jahre stumm sein,darfst nicht sprechen und nicht lachen, und sprichst du ein einzigesWort und es fehlt nur eine Stunde an den sieben Jahren, so istalles umsonst, und deine Brüder werden von dem einen Wortgetötet.« Da sprach das Mädchen in seinem Herzen: Ich weiß gewiß,daß ich meine Brüder erlöse, und ging und suchteeinen hohen Baum, setzte sich darauf und spann und sprach nichtund lachte nicht. Nun trug's sich zu, daß ein Königin dem Walde jagte, der hatte einen großen Windhund, derlief zu dem Baum, wo das Mädchen drauf saß, sprangherum, schrie und bellte hinauf. Da kam der König herbeiund sah die schöne Königstochter mit dem goldenen Sternauf der Stirne und war so entzückt über ihre Schönheit,daß er ihr zurief, ob sie seine Gemahlin werden wollte.Sie gab keine Antwort, nickte aber ein wenig mit dem Kopf. Dastieg er selbst auf den Baum, trug sie herab, setzte sie auf seinPferd und führte sie heim. Da ward die Hochzeit mit großer Pracht und Freude gefeiert;aber die Braut sprach nicht und lachte nicht. Als sie ein paar Jahre miteinander vergnügt gelebt hatten,fing die Mutter des Königs, die eine böse Frau war,an, die junge Königin zu verleumden, und sprach zum König:»Es ist ein gemeines Bettelmädchen, das du dir mitgebrachthast, wer weiß, was für gottlose Streiche sie heimlichtreibt. Wenn sie stumm ist und nicht sprechen kann, so könntesie doch einmal lachen, aber wer nicht lacht, der hat ein bösesGewissen.« Der König wollte zuerst nicht daran glauben,aber die Alte trieb es so lange und beschuldigte sie so viel böserDinge, daß der König sich endlich überreden ließund sie zum Tod verurteilte. Nun ward im Hof ein großes Feuer angezündet, darinsollte sie verbrannt werden; und der König stand oben amFenster und sah mit weinenden Augen zu, weil er sie noch immerso liebhatte. Und als sie schon an den Pfahl festgebunden warund das Feuer an ihren Kleidern mit roten Zungen leckte, da wareben der letzte Augenblick von den sieben Jahren verflossen. Daließ sich in der Luft ein Geschwirr hören, und zwölfRaben kamen hergezogen und senkten sich nieder; und wie sie dieErde berührten, waren es ihre zwölf Brüder, diesie erlöst hatte. Sie rissen das Feuer auseinander, löschtendie Flammen, machten ihre liebe Schwester frei und küßtenund herzten sie. Nun aber, da sie ihren Mund auftun und reden durfte, erzähltesie dem Könige, warum sie stumm gewesen wäre und niemalsgelacht hätte. Der König freute sich, als er hörte,daß sie unschuldig war, und sie lebten nun alle zusammenin Einigkeit bis an ihren Tod. Die böse Stiefmutter wardvor Gericht gestellt und in ein Faß gesteckt, das mit siedendemÖl und giftigen Schlangen angefüllt war, und starb einesbösen Todes.